Von der Kunst echte Parfüms zu kreieren  

Ein Interview über die Kraft natürlicher Düfte und den Sinn der Erinnerungen

„Düfte sind Botschafter“, erklärt Beate Nagel. In ihrer Jugend wollte sie eigentlich Kunst studieren, es schwebte ihr vor, eine „Kunst direkt am Menschen“ zu entwickeln, aber wie wusste sie noch nicht. Heute, weiß sie es: seit 1990 entwickelt sie Parfums, kreiert Duftinstallation für Firmen oder beduftet ihre eigenen Kunstprojekte und zwar mit „echten Parfums“. Darunter versteht die erfahrene Parfümeurin und Künstlerin natürliche Düfte, die ausschließlich aus echten Pflanzen gewonnen werden. Ihr Wissen beruht auf altbewährten Traditionen der jahrhundertealten Geschichte der Parfumkunst. „Denn ein echtes Parfum zu kreieren ist Kunst!“.

PAR-VIE hat die „Nase“ getroffen und mit ihr über die Kraft natürlicher Düfte sowie sinnliche Erinnerungen an die Weihnachtszeit geplaudert und zu guter letzt ein Rezept bekommen, um zu Hause einen eigenen Winterduft nachzumischen. 

Welchen Duft verbindest du mit der Weihnachtszeit?

Mit Weihnachten verbinde ich den Duft von Zimt, wie es wohl vielen von uns geht. … Mit einem Atemzug ist man zurückversetzt in seine Kindheit: der Lichterglanz am Christbaum, der intensive Tannenduft im Wohnzimmer und die Hauswichteln, denen am Morgen des Heiligabend ein feiner Zimtbrei als Dank in eine Hausecke gestellt wird…

Zimt wird aus den inneren Schichten einer Baumrinde gewonnen, und hat übrigens eine lange Tradition in den kalten dunklen Tagen, nicht zuletzt aufgrund seiner wärmenden Wirkung. Zimt ist besonders hilfreich, wenn wir seine Wärme in unseren Breitengraden am nötigsten haben: in der dunkelsten und kältesten Jahreszeit, dem Winter. 

Die emotionale Kraft der Düfte. Was passiert mit uns, wenn wir etwas riechen?

„Der Geruchssinn ist der Sinn der zärtlichen Erinnerungen“, stand schon 1819 im Dictionnaire des sciences médicales. Gerüche können, sogar mehr als alle anderen Sinne, Erinnerungen auslösen. Wer kennt das nicht…. plötzlich hat man einen Duft in der Nase und in der Sekunde fühlt man sich in eine andere Zeit zurückversetzt. 

Düfte prägen sich ein – wir erinnern uns

Der gelegentlich auftretende Effekt, dass ein Geschmacks- oder Geruchserlebnis plötzlich ganz bestimmte Erinnerungen hervorruft, wurde als „Proust Effekt“ bekannt. Nach dem französischen Schriftsteller Marcel Proust. Er unterschied in Geruchsassoziationen zwischen dem bewussten Erinnern und der unbewussten Erinnerung, die aus der Tiefe der Vergangenheit emporsteigt. 

Wobei er den Reiz besonders im sogenannten „unbewussten Riechen“ sah. Nahm er Düfte von früher wahr, fühlte er sich wie berauscht. Proust erlebte das mit dem feinen Madeleine-Gebäck, mit dem er als Kind getröstet worden war. Eine ganze Gefühlswelt ließen Duft und Geschmack des Küchleins bei ihm als Erwachsenen auferstehen.

„In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. (…)“ Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Wie nah sich Geschmack und Geruch sind, wissen wir spätestens bei einem Schnupfen, wenn man nichts mehr schmeckt – egal was man isst … Normalerweise wandern Duftmoleküle aus dem Mund durch eine Verbindungsröhre mit der Nase sozusagen von hinten zu unseren Riechzellen, ein Vorgang, der „retronasales Riechen“ genannt wird und wesentlich zu unserem Geschmackserleben beiträgt. 

NATÜRLICHE vs. SYNTHETISCHE DUFTSTOFFE

In der Fachwelt des Parfums wird zwischen natürlichen und synthetischen Duftstoffen entschieden. Du hast dich entschieden, ausschließlich natürliche Düfte zu kreieren. Was können natürliche Parfums im Vergleich zu synthetischen?

Ich komme aus der Ökobewegung der 70er. Für mich war es seit jeher klar, mit Naturbezug zu arbeiten. Nur war es für mich essenziell wichtig, Aspekte von Schönheit und Ästhetik mit einzubringen. 

Echte Düfte wie Rose, Jasmin oder auch der Duft von Arve, Zypresse, Myrrhe, Cistrose… vermögen uns einzuhüllen. Die Botschaften dieser Pflanzen werden zu einem Gesamtwerk zusammengeführt – ihr Duft umgibt uns sinnlich-einhüllend oder auch stärkend, je nach dem, welchen Akzent ich bei der Entwicklung setze. Alle echten Düfte bewirken etwas!

Hört sich nach Aromatherapie an…

Nein, Therapie ist der medizinische Ansatz. Ich spreche lieber von Aromakultur. Schönheit und Heilung ist kein Widerspruch. Öle helfen uns, unsere Identität zu unterstreichen und zu stärken, aber richtig eingesetzt, können sie uns auch unterstützen, wenn wir zum Beispiel im Stress sind. 

Synthetische Duftstoffe können das nicht. Es ist wie mit Aromen beim Essen – sie geben etwas vor und das Gehirn ergänzt die Botschaften.

Stichwort synthetische Duftstoffe – was kannst du uns dazu erzählen?

Bis Anfang 1900 wurden alle Parfums aus echten Ingredienzen hergestellt. Anfangs wehrten sich die Parfümeure noch gegen den Einzug der synthetischen Duftstoffe. Jean-Claude Ellena, Chef-Parfumeur bei Hermès, beschreibt in seinem Buch die anfängliche Ablehnung recht gut. „Aus Sicht der zu Beginn des 20. Jahrhunderts tätigen Parfümeure weisen die synthetischen Produkte nicht die Komplexität der natürlichen Erzeugnisse auf, an die sie sonst gewöhnt sind. Sie werden zwar als interessant, aber als derb und mitunter unangenehm wahrgenommen.“ Dennoch haben sie die Parfumwelt erobert … 

Meiner Meinung nach uniformieren uns synthetische Parfums. Wir riechen alle „gleich“. Durch Parfumkonzerne erliegen wir seit 100 Jahren „Fake News“, ohne es zu ahnen – weil viele Produkte ein „Luxus-Mäntelchen“ tragen. 

Könntest du uns das an einem konkreten Beispiel erklären?

Ein gutes Beispiel ist Moschus. In der Parfümindustrie wird heute fast nur noch mit künstlich hergestelltem Moschus gearbeitet, auch bei sehr teuren Markenparfums. Es handelt sich hierbei um synthetische Moschusduftverbindungen, die heute relativ einfach und preiswert produziert werden können und das in einer unvorstellbaren Größenordnung von Tausenden von Tonnen jährlich. Was aber kaum jemand weiß, diese künstlichen Duftstoffe sind schwer abbaubar und reichern sich zudem in der Umwelt an… 

Das heißt, in synthetische Duftstoffen verbergen sich Gefahren?

Ja. Laut Greenpeace findet man diese Dauergifte auch im Fettgewebe von Tieren und Menschen, etwa in der Muttermilch und im Blut. Nitro- und polyzyklische Moschusverbindungen sowie die als Alternative propagierten, neuen makrozyklischen Moschusverbindungen sind u.a. in Waschmitteln, Reinigungs- und Geschirrspülmitteln, Toilettenwässern, Raumsprays, Räucherstäbchen – und ja, in Deodorants und allen Arten von künstlichen Parfüms nachzuweisen. 

Das Verhängnisvolle hierbei: Als Konsument kann man nicht feststellen, ob künstliche Moschusverbindungen in einem Produkt enthalten sind. Eine Deklaration ist nicht vorgeschrieben! Auch bei Kosmetika darf der Hersteller einfach die Bezeichnung „Parfum“ oder „Aroma“ in die Inhaltsstoffliste schreiben.

Wie erkenne ich als Konsument ein natürliches Parfum? 

Leider ist das sehr schwierig, man muss sich mit den INCIs* befassen oder nachhaken. Biolabels können helfen … oder man erkundigt sich in einem gut sortierten Bioladen, ob es sich um naturreine Düfte und biologische ätherische Öle handelt. 

Leider muss man sagen, dass es nur ganz wenige Marken gibt, die wirklich reine Parfums herstellen. 

*Internationale Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe

Warum sind Naturdüfte so selten geworden?

Es ist eine Kostenfrage. Künstliches Jasmin oder Sandelholz bekommt man für ein paar Euro, während das aus der Natur um die 10.000 Euro kostet.

Historisch betrachtet waren Parfums nur dem Adel und Klerus vorbehalten. Sie waren exklusiv und teuer, kostbar wie Seide oder andere Luxusgüter. Parfums sollten pure Schönheit ausstrahlen, als Statussymbol und zur Betörung der Reichen und Schönen.

Vor kurzem las ich in einer Zeitung: „Reiche Leute plagt ein – zugegeben – kleines Problem. Die heutigen synthetischen Parfums kann sich inzwischen jeder leisten, symbolisieren sie durch ihre massenhafte Verbreitung doch keinen Luxus mehr. So lautet denn der aktuelle Trend der „oberen Zehntausend“: Qualität statt Quantität. Es werden wieder kostbarste Parfüms – wie zuletzt Ende des 19. Jahrhunderts – vermehrt oder gänzlich aus reinen, echten Pflanzen-Ingredienzien für dieses Luxussegment entwickelt.“ Auch ich spiele als Parfümeurin in dieser Liga mit, im Segment der sogenannten „Nischenparfums“. Es ist, als spiele in zarten Anfängen eine ganz neue Musik in der Welt der Parfums.

Würdest du uns zum Abschluss ein weihnachtliches Duftrezept verraten?

Ab Oktober kann es im Allgäu schon recht kalt sein, für typische Weihnachtsdüfte ist es aber zu früh, so entstand meine Idee zu „Winterwald“. Ein Duft für die kalte Jahreszeit, waldig und leicht zimtig duftend.

„Winterwald“

22 Tropfen Weißtanne – Abies alba

8 Tropfen Fichtennadeln – Picea obovata

10 Tropfen Orange – Citrus sinensis

1 Tropfen Zimtrinde – Cinnamomum verum

10 ml Leerflasche, mit Tropfer (Apotheke)

Tropfen Sie die ätherischen Öle nach und nach in das Glasfläschchen, gut verschütteln. Geben Sie einige Tropfen dieser Duftmischung auf ein Taschentuch und legen es auf einen warmen Heizkörper. Durch die Hitze steigt der Duft in den Raum. Oder Sie tropfen „Winterwald“ entsprechend der Anleitung in eine Duftlampe oder einen Aroma-Vernebler. 

Zur Person

Beate Nagel ist Parfümeurin und Künstlerin. Nach 22 Jahren als Projektleiterin in der Parfumbranche hat sie sich mit ART PARFUM selbständig gemacht und verbindet ihre beiden Leidenschaften Kunst und Parfum. Sie ist Autorin von zwei Büchern, in denen sie – sehr unüblich für die Branche – ihre Geheimnisse aus der Duftwelt preisgibt. Sie lebt und arbeitet im Allgäu.

Ihre Bücher gibt es online zu kaufen : https://www.art-parfum.eu/buch